Bibliothek  Das Simple-Attacke-System

Eine Attacke hier, eine Parade da, so geht das nun schon minutenlang, doch dem Ork scheinen die Kräfte nicht zu schwinden. Da, endlich gelingt Dir mit Deinem Rapier der entscheidende Streich, dem Ork wird sein Arbach aus der Hand geschlagen und hilflos muss er zusehen, wie er weit außerhalb seiner Reichweite im Gras landet. Du machst einen Ausfallschritt und der Ork weicht stolpernd aus, landet unsanft mit dem Gesäß auf dem Boden. Nun ist er Dir hilflos ausgeliefert. Du holst zum tödlichen Schlag aus und ... schlägst die Klinge glatt 2 Spann neben dem Ork in den Boden.

Ganz klar, der Ork wird das nicht überleben - denn er lacht sich garantiert tot über die stümperhafte Attacke, die eigentlich gefährlich nah an das heranreicht, was man unter einem Patzer versteht. Bei üblichen DSA- Kämpfen ist dies jedoch völlig alltäglich, auch ohne einen schweren Fehler einfach ständig daneben zu hauen. Auch erfahrenen Helden mit einer AT von 15 gehen rein statistisch betrachtet 25% aller Treffer daneben, also jeder vierte Schwertstreich. Bedenkt man dann, dass eine gelungene Attacke jedoch auch zu ca. 50% (je nach Parade) in die Deckung des Gegners rennt, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass nur 3/8 aller Angriffe (37,5 %) durchkommen. (Beim Kampf mit mehreren Gegnern wird dies natürlich etwas verschoben, da das Opfer immer nur eine erfolgreiche (!) Attacke parieren darf.) Was in einem Duell bei Fechtwaffen noch verständlich sein mag ist in dem oben beschriebenen Szenario jedoch schlichtweg fern jeder Realität.

Ich bin nicht der erste und werde wohl auch nicht der letzte sein, der sich dieses Mankos von DSA bewusst geworden ist und nicht nur mein Artikel "Wortgefecht" war ein Versuch die Würfelorgien zu Gunsten des Rollenspiels zu vermeiden. Speziell die alternativen Kampfsysteme, die das Kampfregel-Projekt entwickelt (hat), sind eine lesenswerte Lektüre für alle die sich ebenso unwohl bei den Standard-Regeln fühlen. Insbesondere das dort aufgeführte QVAT nimmt sich des hier erwähnten Problems der hohen Fehlerquote bei "Elfmetern" im Kampf an. Wer schon mehrere Artikel von mir gelesen hat weiß jedoch auch, dass ich ein Verfechter des "schlanke Regeln-Spiel" bin und deswegen alternative Kampfsysteme nur dann in der Runde umsetze, wenn Sie auch eine Vereinfachung mit sich bringen.

Von Seiten eines Shadowrun- Spielers mit dem ich einst durch Aventurien ziehen durfte, kam der Vorschlag, doch die Probe ob ein Treffer gelingt auf eine einzige Probe reduzieren zu können, die je nach Situation (dazu gehört auch die "Verteidungsstärke" des Gegners) erschwert oder vereinfacht wird. Dies erinnert natürlich stark an die Fernkampfregeln, wobei die Erschwernis bzw. die Erleichterung von Sicht, Entfernung und Größe des Ziels abhängt. Nach kurzer Diskussion haben wir uns auf folgendes geeinigt:

In Anlehnung an den alten Waffenvergleich wird beim Kampf für jeden der Gegner ein spezieller Attacke-Wert berechnet. Dazu wird sein aktueller AT (in seiner aktuell benutzen Waffe) herangezogen und die Differenz zur PA des Gegners (in seiner aktuellen Waffe) ermittelt. (Beispiel: Aishu hat mit dem Kunchomer AT/PA 12/10, der Ork 11/11 mit dem Arbach. Der Vergleich meine AT zu Gegner PA bringt eine 1 (12-11) zutage, andersherum ist es ebenso (11-10)) Dieser Differenzwert wird als Bonus auf die AT angerechnet, also darf Aishu mit 13, der Ork mit 12 attackieren. Bei gelingen dieser AT ist ein Treffer gelandet worden, es wird keine separate Parade mehr gewürfelt!

Zunächst ist das nur eine Vereinfachung des Systems mit einer gewissen Beschleunigung der Kämpfe (die Wahrscheinlichkeit eines Treffers steigt deutlich). Es lässt sich jedoch ebenso leicht (weil wir ja nur noch eine Probe haben) für den Meister weitere Modifikationen anbringen. So zum Beispiel Attacke-Erleichterungen für besser Positionen im Kampf (die ja wie im Artikel "Wortgefecht" skizziert, durch geschicktes Bewegen gewonnen werden können). Auch bietet sich hier an, eine Attacke-Erschwernis durch Rüstung anzubringen, die bei DSA ja überhaupt nicht berücksichtigt ist, sondern Rüstungen ja nur eine Treffer-dämpfende Wirkung haben. So könnte eine Stichwaffen-Attacke auf einen Vollharnisch deutlich erschwert werden (genau den ungeschützten Punkt zu treffen macht eine Attacke schwerer), während ein Kettenhemd gegen ein Florett keinerlei Schutz bedeutet. Auf der Seite des Angreifenden bedeutet eine Rüstung wahrscheinlich (nach wie vor) einen Malus auf die Attacke durch die (effektive) Behinderung.

Die Motivation für diese Regel war jedoch, bei bestimmten Situationen (siehe Eingangsszenario) die Probe deutlich zu vereinfachen. Angenommen, der Gegner hätte keine Waffe mehr kann er nur noch Ausweichen. Der Ausweichwert berechnet sich (zumindest seit der vierten Edition) aus dem Paradewert (und ist in der 3. Edition zumindest ähnlich zu berechnen). So ist die Differenz zwischen AT und Ausweichen normalerweise deutlich größer. Hätte der Ork also ein "Ausweichen" von 7, so wäre die Differenz 5, was Aishu eine Attacke von 17 erlaubt hätte! Sollte der Ork seine "Defensivaktion" (Reaktion wie Parade oder Ausweichen) in der Kampfrunde schon verbraucht so würde ich ihm nur ein "glückliches" oder zufälliges Ausweichen mit dem Wert 1 zubilligen. (Interpretiert als zufällige Bewegung, die genau den richtigen Schritt zur Verteidigung im Augenblick darstellt.) Im Falle von Aishu wäre die Differenz dann 11 und würde zu einer erlaubten AT von 23 führen, was aber nicht mehr bringt als eine 19, denn nach wie vor ist eine 20 natürlich ein Patzer. Ein Kampfunerfahrener jedoch, der eine AT von 7 hat, könnte auch mit einem solchen Vorteil nur auf eine Probe von 7+(7-1) kommen, also eine 13. Sie sehen, wer nicht mit einer Waffe umgehen kann, hat selbst gegen sich nicht aktiv verteidigende Gegner ein Problem wohin gehend erfahrene Gegner in der Überzahl in den meisten Fällen tödlich sein werden.

Es sei noch angemerkt, dass eine passive Verteidigung wie eine Rüstung natürlich auch beim nicht aktiven Verteidigen zählt, also ein Bonus durch Rüstung auch auf die schlechten Ausweichwerte addiert wird. Gegen den erwähnten Vollharnisch hat ein Florett also nach wie vor weniger gute Chancen, auch wenn der Gegner seine Parade längst anderen Attacken gewidmet hat.

Zu guter letzt sei noch die Überlegung angestellt, wie mit einem Schild umzugehen ist. Nun, ein Schild als Paradewaffe sollte natürlich (vorausgesetzt man weiß damit umzugehen) einen vergleichsweise guten Paradewert ergeben, der ja beispielsweise zu einem negativen Vergleichswert zwischen AT und PA führt. So käme es also (meist) zu einem AT-Malus bei Gegnern, die einen Schild fachmännisch einsetzten können.

Vermutlich überflüssig zu erwähnen: Da diese Überlegungen sich ja alle auf den Nahkampf beziehen bleiben die Fernkampfregeln davon unbeeinflusst.

Mir ist klar, dass diese Form der Kampfregeln weit davon entfernt ist unangreifbar für jede Kritik zu sein. Auch wenn ich denke, dass dem Realismus in mancher Hinsicht durch diese Regeln gedient wird, so sind diese Regeln aber in erster Linie zur Vereinfachung gebaut und nicht hinsichtlich Realismus optimiert. Wenn Sie sich noch nicht (zumindest endgültig) entschieden haben, was für Ihre Gruppe das rechte Kampfsystem ist, dann möchte ich diesen Artikel mit einer Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile des "Simple-Attacke-Systems" (SAS) beschließen.

Vorteile

Nachteile

  • Kampfwerte der Original-Regeln werden weiterbenutzt (Sie brauchen also keinen speziellen Heldenbogen und können Ihren Helden getrost in Standard-Spielgruppen mitnehmen)
  • einfachere Kämpfe (nur noch eine Probe)
  • realistischer bezüglich der Verteidungsmöglichkeiten des Gegners
  • einfacher Einsatz und Einberechnung von weiteren Kampfmodifikationen
  • (ein wenig) Berechnung bei jedem Gegnerwechsel oder neuer Kampfsituation notwendig (was die Kämpfe aber auch interessanter macht)
  • nicht auf Realismus optimiert
Folgende Eigenschaften des SAS muss wohl jeder für sich selbst in die Schublade Vorteil oder Nachteil einordnen:
  • schnellere Kämpfe durch höhere Trefferchancen
  • mehr Vorteil für die Partei in Überzahl

Oliver Eickenberg

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