Bibliothek  Die Heldenchimäre

Ja, der alte Rondrian, der verstand sein Handwerk. Er war mein Großvater müsst Ihr wissen und ich habe viel von ihm gelernt. Nicht nur das Jonglieren und das Kunststück auf den Händen zu laufen, sondern auch, wie man die Knochen wieder gerade setzt, oder einem armen Teufel das Bein abnimmt, bevor an seinen Verletzungen ganz krepiert. Die Leute haben immer irgendwelche Wehwehchen, denen man eine Mixtur verkaufen kann, wenn man sie denn erstmal mit bunten Fahnen und Wimpeln zum Wagen gelockt und ihnen ein paar Tricks vorgeführt hat ...

Hinweis: Dieser Artikel bezieht sich auf die 3. Edition der DSA-Basisregeln. Es kann also sein, daß manche der hier erwähnten Eigenschaften von DSA auf die aktuelle 4. Edition nicht mehr zutreffen. Da die Heldengenerierung in DSA4 nicht mehr auf fertigen Typen beruht sondern Rasse, Kultur und Profession sich (fast) frei kombinieren lassen, ist der wesentliche Punkt dieses Artikels in DSA4 bereits realisiert.

Handelt es sich bei dem Erzähler und seinem Großvater nun um einen Gaukler oder einen Medicus ? Die Antwort ist vielleicht simpler als erwartet, denn beides ist richtig. Es handelt sich um Heldenchimären.

Keine Angst, hier geht es nicht um mehrbeinige Monster die mit gigantischen Insektenflügeln ausgestattet arme Wanderer jagen und ihnen eitrige Stoßzähne ins Gesicht bohren, sondern einfach nur um eine Kombination bekannter Heldentypen. Immer wieder sagt man über viele Heldentypen, daß sie "unspielbar" seien, im Gegensatz zu den immer beliebten Kriegern und Magiern. Auch wenn es nach wie vor falsch verstandenes Rollenspiel ist, den eigenen Helden nach Effektivität und Schlagkraft auszusuchen, so muß man als Meister doch auf den Wunsch der Spieler reagieren, einen Helden zu haben, der mehr als nur eine interessante Hintergrundgeschichte zu bieten hat. Die Kombination von zwei oder mehr Heldentypen zu einer "Heldenchimäre" könnte der gesuchte Kompromiß sein.

Zunächst sollten einmal all die Heldentypen aus der Auswahl genommen werden, die nach wie vor beliebt sind, oder die schon eine Kombination aus verschiedenen Heldentypen darstellen, wie in folgender Tabelle aufgeführt :

Typus

Beschreibung

ElfDie Faszination über die Fremdartigkeit der Elfen führt dazu, daß, obwohl rollengerecht schwer zu spielen, sie immer wieder gerne verwendet werden. Eigentlich gibt es ja nur wenige Sachen, die ein Elf schlecht kann ...
KriegerIn einer gewaltbereiten Umgebung wie Aventurien findet sich immer eine Aufgabe für einen Krieger, noch dazu, wenn es ein Gesellschaftlich angesehener Beruf ist und es kaum ein Abenteuer ohne Kampf gibt.
MagierDie Meister der arkanen Künste gehören zu den Machtvollsten Personen überhaupt. Daher sind sie sehr beliebt, obwohl spätestens ab Stufe 15 der Spaß verloren geht, wenn alle Hindernisse mit ein paar Zaubern aus dem Weg geräumt werden. Dafür sind junge Magier eine stark gefährdete Spezies ...
ZwergEinen Zwerg mit seinen Eigenheiten lieb zu gewinnen ist nicht schwer, besonders wenn er auch dank seiner hohen Lebensenergie zu den stärkeren Kämpfern gehört. Kavaliere gibt es aber schon deutlich weniger ...
ThorwalerDer einfach zu spielende Thorwaler kann gut drauf haun' und saufen ... reicht doch für jedes Abenteuer außerhalb des lieblichen Feldes !
SkaldeHier haben wir einen typischen Vertreter einer Komnination aus anderen Typen. Der Thorwaler in ihm reicht aus um ihn als Spielbar zu klassifizieren, der Barde macht ihn dazu interessant.
StreunerDie Gesellschafts- und "Handwerkstalente" ermöglichen dem Streuner ein interessantes Aktionspotential, dabei sind seine Kampffähigkeiten noch ausreichend.
HexeDank der Flugfähigkeit in vielen Situationen überlegen ... klar, daß da gerne der Besen mit ins Abenteuer genommen wird.
Druiden und GeodenSchon weniger beliebt, da schwieriger zu spielen, aber machtvoll genug um auch einem Magier entgegen zu treten.
RondrageweihteDer einzige "spielbare" Geweihte. Ergänzt den Krieger mit kleinen Wundern, hat dafür noch strengere Auflagen.
NovadiKann nicht nur Kämpfen, sondern auch reiten. Nervt etwas mit seinen 99 Gesetzten, bringt aber Farbe ins Rollenspiel.

Ganz anders sieht es da bei den folgenden Heldentypen aus. Ich kenne kaum jemanden der solche Leute verkörpert ...

Typus

Beschreibung

BardeEs gibt in den meisten Abenteuern zu wenige Gelegenheiten, die Fähigkeiten eines Barden auszuspielen. Die Laute ist einfach keine gute Waffe ...
NorbardeNicht daß dieser Typ nicht interessant wäre, aber er kann seine Eigenschaften nur schwer an den Mann bringen. Da nützt es wenig, daß er noch mit einer Axt umgehen kann.
SchamanenNicht mal richtig Zaubern können sie ...
SharisadNur neun Zauber und die nicht mal oft anwendbar weil sie alle mindestens 10 Minuten dauern. Keine Chance ...
SchelmDaß es einem irgendwann auf die Nerven geht, andauern Witze machen zu müssen, mag man ja noch tolerieren, aber daß man nicht mal beim Kampf jemandem wirklich Schaden darf, geht zu weit.
ScharlatanAuch hier gilt, daß der Zauberer einfach zu wenig leistet. Einem Spieler ist es nunmal egal, ob sein Held 9 Jahre auf einer Akademie war, oder das Zaubern vom Onkel gelernt hat.
NiveseWiederum interessant zu spielen, aber es fehlen die besonderen Fähigkeiten, die den Helden effektiver machen.
MohaÄhnlich dem Nivesen sind hier nur wenige Vorteile (wie Hruruzat) gegen eine Reihe Nachteile (Kleidung, Götter, Anstand und Benehmen !?!) im Spiel.
GauklerObwohl die Akrobatik im Spiel einsetzbar wäre, verlangt ein Meister im ernstfall doch meist nur AT, PA, Selbst- und Körperbeherrschung.
MedicusEin Spieler möchte sich nicht nur NACH einem Kampf am Spiel beteiligen ...
SeefahrerSolange die meisten Abenteuer auf dem Festland spielen ist er ein zu großer Aussenseiter.

Zusätzlich zu erwähnen sind noch alle Geweihte mit ausnahme des Rondra- (siehe oben) und Swafnirgeweihten, der ja schon, genau wie der Skalde, einen brauchbaren Thorwaler verkörpert. Aber genau wie diese Beispiele zeigen, kann man einen (auch einen unbeliebten) Typ durch die "Geweihtenfunktion" interessanter machen. So kann zum Beispiel ein Händler (Norbarde) ein Phexgeweihter sein. Hesindegeweihte können sich fast jeden beliebigen Wissengebietes oder Kunstform verschrieben haben um sie zu lehren und studieren, und so als Gaukler, Scharlatan, oder Medicus umherziehen. Ähnliches gilt für Ingerimmgeweihte und ein spezielles Handwerk (also wieder Medicus, oder als Schiffszimmermann/Seefahrer). Andere (wandernde) Geweihte (Peraine, Tsa, Boron, Rahja etc., auf jeden Fall Phex) sind hervorragend dazu geeignet einen zunächst als Streuner zu identifizierende Person als deutlich mächtiger herausstellen zu lassen. Der Jäger ist natürlich Firungeweihter ... Ihr Praiosgeweihter sollte der (kampferprobten und gesellschaftlich mächtigen) Inquisition angehören. Ein Thorwaler muß nicht unbedingt Swafnirgeweihter sein, auch Efferd hat seine Anhänger, die auch (oder gerade) unter Seefahrern zu finden sind. Zugegeben : Die Traviageweihte, die nicht von ihrem Herdfeuer weichen will, ist schon eine dumme Gans ...

Mag sein, daß einem Spieler die gebotenen Möglichkeiten noch nicht reichen. In diesem Fall wäre die Einführung eines "mittleren Wunders" überlegenswert. Darunter verstehe ich all die "großen Wunder" (die es laut Redaktion nur SEHR selten geben sollte), die aber eigentlich gar nicht sooo weltbewegend sind, wie zum Beispiel die Wiederbelebung eines Helden. (Mal ganz ehrlich - waren Sie noch nie tod ?) Gönnen Sie also ihren Spielern öfters solche großen, sich aber in Grenzen haltenden Wunder, wenn der Geweihte darum bittet, damit dem ansonsten wenig effektiven Helden ein großer Moment im Abenteuer vergönnt ist.

Aber auch ohne göttliche Weihe sind interessante Kombinationen möglich. Auch auf See mag man Streuner finden, die sich in jeder Hafenstadt auskennen, dazu aber die Fähigkeiten des Segelns beherrschen. Überhaubt ist bei dem gesamten "fahrenden Volk" ein gewisser Hang zum Streunertum festzustellen. Scharlatane, Barden, Medici und Gaukler (die untereinander auch sehr gut mischbar sind) eignen sich hervorragend. Gönnen Sie der Sharisad einen Lehrgang im Umgang mit dem Kunchomer (der Oheim wollte sie auf ihren Reisen halt nicht schutzlos wissen). Auch eine Achmad' Sunni, die ihre Rache hinter einer Tanzdarbietung verstecken kann eignet sich für mehr als eine Meisterperson.

Auch wenn Nivesen und Moha's nicht immer der Schamane ihrer Sippe sein können, so kennen sie bestimmt ein paar einheimische Gifte, Geisterrituale oder die Zutaten für eine Voodoo-Puppe. Eventuell notwendige Astralenergie kann von einem Magiedilletantismus her rührer, der verschiedene Möglichkeiten eröffnet auch wenn kein Zauber dabei willentlich gewirkt wird. Ein einfacher Alchimist und Pflanzenkundler wird so eine richtige Kampfmaschine, wenn er niederhöllische Tinkturen in kleinen Tonkugeln um sich wirft. Als reine Stinkbomben wird sich auch ein Schelm darüber freuen, solch gute Munition für seine Schleuder zu bekommen (oder herstellen zu können !).

Und wie macht man das nun Regeltechnisch ?

Ganz einfach : Man nehme die zu mischenden Heldentypen und jeweils den besseren Talentwert, die Bedinungen für die Grundeigenschaften können von dem Heldentyp übernommen werden, den man als den körperlichen Grundtyp ansieht. Letztlich wird so ein Held zwar besonders gute Startwerte haben, aber genau das ist es ja, womit versucht werden soll, die typbedingten Nachteile auszugleichen. Gesteigert wird bei den meisten Typen ja ohnehin gleich mit W6 LE und 30 Talentsteigerungsversuchen.

Wenn Sie auf Ihren Magier oder Krieger keine Lust mehr haben, dann überlegen sie mal, ob eine Kombination zweier Typen nicht den Helden ergeben könnte, den sie schon immer spielen wollten. Schließlich muß aber auch noch einmal an den Meister appeliert werden, möglichst viele Gelegenheiten in einem Spiel zu erzeugen, die auch mit unkonventionellen (gewaltfreien) Mitteln bewältigt werden können. Die Barden, Gaukler und Geweihten werden es Ihnen danken.

Oliver Eickenberg

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