Bibliothek  Mein Held !

Betrachten Sie bitte einmal folgende Szene mit den beiden Zwergen Rabagasch und Phaira, die in einem Wald unterwegs sind.

Meister : Ihr seid nun an der Lichtung angekommen. Der Wald scheint an dieser Stelle eine Oase geschaffen zu haben für die, die es nicht gewohnt sind ständig die Stiefel aus Wurzelschlingen heraus ziehen zu müssen.
Rabagsch : Ich schaue vorsichtig aus dem Buschwerk heraus um zu schauen, ob dort etwas sitzt.
Meister : Das hast Du gut getan, denn Du entdeckt ein paar Oger, die mit schweren Keulen bewaffnet sind. Ein angefressener, scheinbar menschlicher Arm liegt herum. Ein Knochenhaufen an der anderen Seite der Lichtung ist sauber abgenagt.
Rabagasch : (zu Phaira) Was hälst Du davon, wenn ich auf die andere Seite gehe, Du die Oger dann mit Deiner Armbrust beschießt und ich dann von hinten angreife.
Phaira : (nicht ganz bei der Sache) Hm. Ja. Von mir aus ...
Meister : Also Du bist jetzt herumgegangen und wartest auf Phaira's Angriff.
(warten)
Meister : Phaira ?
Rabagsch : Ja. Phaira schießt jetzt.
Meister : Gut die Oger drehen sich um. Erschrocken über den Schmerz in seinem Rücken schreit der eine auf, während der andere nach seiner Keule greift, die er beabsichtigt, Phaira an den Schädel zu schlagen !
Rabagasch : Dann werde ich die beiden jetzt Ingra's Feuer spüren lassen ...
Meister : Phaira, was machst Du ?
Phaira : Ich ? Was muß ich denn jetzt machen ?
Meister : Nun, versucht Du noch einmal zu schießen, oder nimmst Du lieber Deine Skraja ?
Phaira : Weiß nicht ...
Rabagasch : Sie nimmt die Skraja, die Oger sind viel zu nah ...

Es braucht uns nicht weiter interessieren wie der Kampf aus geht. Denn eigentlich wird er keinem der Spieler so richtig Spaß gemacht haben. Es sind gleich drei schwere Fehler zu beobachten, die die beteiligten Spieler (den Meister eingeschlossen) hier begehen. Dabei rede ich nicht von Regelverstößen, denn da diese ja ohnehin in jeder Rollenspielrunde anders gehandhabt werden (sollen) kann und will ich da kein Urteil darüber abgeben. Das Verhalten der einzelnen Spieler läßt jedoch zu wünschen übrig, will man ein Miteinander in der Gruppe erreichen.

Fehler 1 : Phaira spielt nicht mit

Der gravierendste Fehler und Auslöser des anderen Fehlverhaltens ist die Spielweise Phaira's, die eigentlich schon keine mehr ist. Sie ist vollständig passiv, macht weder Vorschläge noch führt sie Taten aus. Meist sind es folgende Gründe, die ein solches Spielverhalten auslösen :

Während man im ersten Fall wahrscheinlich besser "Mensch ärgere Dich nicht" aus dem Schrank holt und die DSA-Box im selbigen verschwinden läßt, sind die anderen (weit häufigeren) Gründe keine Probleme, wenn man sie nur richtig angeht. Die Regeln nicht zu kennen, ist, von wenigen Grundregeln abgesehen in einem Rollenspiel kein Problem, denn man kann diese nach und nach lernen. Auch wenn es in den Augen erfahrener Helden den Spielfluß stören wird, so ist dies immer noch besser, als jemanden Tage lang alles über Dere zu erzählen was man weiß damit der neue Held sich in der Welt auch zurecht findet. Die Angst aus diesen Gründen etwas falsch zu machen, ist ebenso unberechtigt, denn was kann ein Held, der absolut autonom ist, schon falsch machen. Das schlimmste was passieren kann, ist die Ermordung des Auftraggebers, aber auch in diesem Fall macht der Spieler nur dem Meister viel Kopfzerbrechen. Das Spiel an sich muß deswegen ja noch nicht abgebrochen werden. Was ich damit sagen will : Es gibt im Rollenspiel nicht eine richtige Lösung für das Problem. der Meister ist ja in erster Linie dazu da, die Helden auf Ihrem Lösungsweg zu begleiten und nicht in eine einzige Richtung zu stoßen (deswegen ist das Meister sein ja auch so schwer). Wie man sich also nun im Rollenspiel verhalten soll, hängt in erster Linie vom eigenen Charakter (dem Heldentyp) ab. Die Lösung des letzten Problems ist somit meist auch die Lösung all der Probleme. Wer eine genaue Vorstellung von seinem Helden hat, der weiß auch wie er auf bestimmte Situationen reagieren wird, oder aber er kann sich zumindest logisch auf neue Situationen einstellen, wenn er bisherige Erlebnisse des Helden einberechnet. Daher empfinde ich auch eine Hintergrundgeschichte für den Helden um ein vielfaches wichtiger als alle Werte, die der Spieler ausgewürfelt hat. Ob nach Anfänger-System oder vollständigen Talentsystem : Werte von -20 bis 18 sagen zu wenig über einen Helden aus, als das man sagen könnte, der Magier sucht verbissen nach Hexen- und Elfenzaubern um sich endlich den Traum vom Fliegen zu verwirklichen. (Vielleicht ein Grund, der einen Adepten überhaupt erst ins Abenteuer ziehen ließ.)

Nun sind die einzelnen Heldentypen, auch wenn in den beschreibenden Texten meist Standard-Verhaltensmuster angegeben sind, doch unterschiedlich schwer zu spielen. Ein Spieler sollte sich schon ein wenig in die Psyche des Helden hineindenken. Es nunmal wirklich nicht selbstverständlich für einen Novadi durch eisige Berggipfel zu wandern. Wenn sich der Spieler dies nicht vorstellen kann, weil er seit zwanzig Jahren fleißiger Skifahrer ist, dann ist der Novadi nicht das richtige für ihn. "Einfache" Heldentypen wie Thorwaler (laut, gewaltbereit) oder ein Krieger (ehrenhaft) sind da schon besser zu bewältigen und daher im Zweifelsfalle vorzuziehen. Gerade weibliche Spieler sind oftmals von der Figur der Elfe angetan, spielen diese aber immer zu menschlich ! Sollte es nicht gelingen Zauberei instinktiv zu wirken und fremdartig auf alles zu wirken und so zu handeln, dann wäre der Jäger vielleicht die bessere Alternative : Stiller Waldmensch mit Bogen und ohne Zauber. Natürlich ist es legitim, wenn auch vielleicht nicht so interessant, den eigenen Charakter als Vorbild für den Helden zu nehmen. (Viele machen dies ohnehin, ob nun bewußt oder nicht). Eine Arzthelferin könnte vielleicht einen hervorragenden Medicus abgeben, weil sie mit ihrem eigenen beruflichen Wissen diese Figur mit entsprechender Fachkenntnis ausstatten kann das sie so glaubwürdig und echt wirken läßt.

Für unerfahrene (neue) Spieler sollte die Unkenntnis über die Welt (Dere) aber ein Vorteil sein : Niemand in Aventrien hat eine Schule besucht, in der es Derekunde-Unterricht gab, wo ihm beigrabracht wurde, welche großen Städte am Yaquir liegen, und welches Gebirge nördlich von Andergast liegt. Ja, oftmals kennt man nicht einmal diese Namen. Warum sollte ein Grünschnabel von Stufe-1 Held dies wissen ? Was weiß ein Elf schon von der Wüste ? Schämen sie sich nicht einen erfahreneren Helden in der Gruppe zu fragen ! Fragen sie Passanten, Hesinde-Geweihte oder andere Reisende in der Taverne. Die Entdeckung des Kontinents gehört zum Spiel und ist nicht Vorraussetzung.

Fehler 2: Rabagasch bevormundet Phaira

Eigentlich können wir ihn verstehen, denn wer würde sich nicht ärgern, wenn durch ein "weiß nicht" der Spielfluß zum Spielstand kommt. Bedenkt man aber Phaira's Probleme, so gibt ihr eine Bevormundung durch Rabagsch, der dem Meister sagt, was sie tut, endgültig den spielerischen Todesstoß. Das Gefühl, nicht mitmachen zu können, weil man es "nicht richtig" macht wird dadurch verstärkt.

An dieser Stelle kann man nur ausdrücklich darauf hinweisen, daß Phaira für sich selbst entscheiden muß. Sollte sie dies nicht können (was oftmals das gleiche ist, wie sich nicht zu trauen) dann muß das Spiel unterbrochen und Phaira nach Punkt 1 Hilfe zu Teil werden. Sollte dies nicht bald geschehen, dann ist es schnell vorbei mit der Lust am Rollenspiel und Phaira wird sich aus Aventurien heraus halten wollen.

Erfahrene Spieler können eine Hilfe sein, für einen unerfahrenen erststufigen Helden. Wie bereits erwähnt sind aventurische Tatsachen noch lange nicht jedem Einwohner des Kontinents bekannt. An der Seite erfahrener Helden/Spieler könnte ein Grünschnabel auch der Verwandte dessen sein und unter seiner Anleitung erste Abenteuer bestehen. Währe Phaira Rabagsch's Nichte, so könnte sie sich die Bevormundung gefallen lassen, nur um zu lernen, wie man sinnvoll im Rollenspiel auf Situationen reagiert. Am Beispiel Ritter/Knappe oder Medicus/Lehrling ist ersichtlich wie sich dieses Muster zur Einführung neuer Spieler durch andere einsetzten läßt. Aber auch hier gilt, daß man es mit der Bevormundung nicht übertreiben sollte. Auch Lehrlinge haben einen eigenen Willen und Kopf und machen (ruhig viele) Fehler. Man hat ja seinen Meister der einen wieder rausboxt ...

Fehler 3 : Der Meister reagiert nicht

Auch wenn die Fehler hauptsächlich von Phaira und Rabagsch ausgehen, so kann man den Meister dennoch nicht ungeschoren davon kommen lassen. Wenn ich im vorhergehenden Abschnitt gesagt habe, daß das Spiel unterbrochen werden muß, dann ist dies natürlich Aufgabe des Meisters. Er darf die Bevormundung durch Rabagasch nicht durchgehen lassen. Zunächst kann er versuchen, diese als Vorschlag zu werten und bei Phaira rückfragen. Meist wird er dann aber auch eine "jaja"-Antwort bekommen. Um solche Probleme von vorneherin zu vermeiden sollten Gespräche wie sie Punkt 1 nahelegt, vor Beginn des Spiels passieren. Wenn Sie als Meister also einen neuen Spieler in DSA einführen wollen, dann fangen sie nicht bei A an wie Al'Anfa und hören bei Z wie Zorgan auf, sondern fangen sie bei G an, bei der Geburt.

Nehmen sie also an, Tosca soll eine Gauklerin werden, dann überlegen sie sich, wer waren die Eltern. Wo kam Tosca zur Welt ? Wer sind die Geschwister ? Wuchs sie in ärmlichen Verhältnissen auf oder war die Familie eine Sippe großer und gut belohnter Künstler ? Tosca hatte jedenfalls kein Glück, denn die meisten ihrer Verwandten kamen früh ums Leben und Tosca mußte sich alleine durchschlagen. Die Körperkraft und die Gewandtheit der Heldin mußten durch die Fingerfertigkeit und der Intuition eines Streuners ergänzt werden. Daß dadurch Klugheit und (für Gaukler schlecht) auch Charisma vernachlässigt werden liegt auf der Hand. Tosca wird im Gassenwissen besser bescheid wissen, als andere Gaukler, aber mit Tieren (Reiten, Abrichten) hat sie kaum zu tun.

Ich hoffe dieses Beispiel zeigt, wie allein die Herkunftsgeschichte Ihres Helden die Werte mitbestimmen kann. Sie werden merken, daß der Spieler gefallen an seiner Figur findet. Er weiß, wie er die Werte setzen soll, wo die Prioritäten sind. Der Irrglaube, man müsse seinen Held so effektiv wie möglich machen kann somit im Keim erstickt werden. Verzichten sie auch auf zu strenge Auslegung der Regeln. Wenn Tosca nunmal mehr Streunerin als Gauklerin ist, dann überlegen sie ruhig, ob sie nicht die Startwerte des Streuners nehmen und Gesellschaftstalente ein wenig zu gunsten der Akrobatik kürzen. Sollten ihre Darbietungen daraufhin von wenig Erfolg gekrönt sein ist dies nur ein Grund mehr, nicht wegen des Publikums, sondern wegen Abenteuern von Dorf zu Dorf zu ziehen.

Oliver Eickenberg

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