Bibliothek  Die Macke Ihres Helden

Kaum hatte er die Schenke betreten da zückte er auch schon die Würfel aus seinem Geldbeutel. Bogomil hatte die Würfel immer in seinem Geldbeutel, denn »wenn sie dort her kommen, werden sie mit neuen Freunden in den Geldbeutel zurückkehren« pflegte er immer zu sagen. Und tatsächlich. Schnell waren ein paar Einheimische gefunden, mit denen er um eine Runde Bier, dann Geld und später auch Kleidungsstücke spielte, bis es denen reichte. Uns konnte er, was seine Würfel betraf schon lange nichts mehr vormachen, aber in einem neuen Dorf fand er auch immer neue Opfer. Wir bemühten uns schnell ein paar Bier und etwas von dem Eintopf zu essen, bevor man uns vielleicht wieder unter lautem Schimpfen verjagen würde. Aber selbst das wäre nicht so schlimm wie vor zwei Monaten, als man Bogomil den Geldbeutel gestohlen hatte. Die Schmach, Opfer seiner eigenen Profession geworden zu sein oder der Verlust von 7 Dukaten war nicht so schlimm, wie die Tatsache, daß er sich von mir Geld für neue Würfel leihen mußte ...

Hacky ben Hackurabi, aus seinem Tagebuch
über Bogomil Tulop, den Streuner

Hinweis: Dieser Artikel bezieht sich auf die 3. Edition der DSA-Basisregeln. Es kann also sein, daß manche der hier erwähnten Eigenschaften von DSA auf die aktuelle 4. Edition nicht mehr zutreffen. Für diesen Artikel bedeutet dies, daß der Vorschlag, auch negative Eigenschaften eines Helden im Spiel zu berücksichtigen, zwar weiterhin gültigkeit hat, jedoch durch das System der Nachteile in DSA4 schon im wesentlichen realisiert ist. Sehen Sie als Spieler von DSA4 diesen Artikel also als Hilfe zur Umsetzung von während der Generierung erworbenen Nachteilen.

Das »gutes Rollenspiel« bedeutet, den Charakter des Helden unterstrichen und gut verkörpert zu haben ist vermutlich für den nichts neues, der Heldenbeschreibungen aufmerksam durchgelesen hat oder sich selbst Gedanken gemacht hat über den Hintergrund seiner Figur. Aber seien wir doch mal ehrlich : Mutig, Verwegen, Tollkühn, Listig und schließlich Siegreich, daß wollen Sie alle sein. Langweilig wenn alle Helden so wären ...

In »Drachen, Greifen, Schwarzer Lotos« lesen wir jedoch auf Seite 26 etwas über Unarten von Pferden. Und dabei frage ich Sie : Was ist interessanter für das stimmungsvolle Rollenspiel ? Das Pferd, welches nach einer gelungenen Reitprobe den Zaun überspringt, oder das Pferd, welches nur schwer aus den Augen zu lassen ist, weil es dazu tendiert, jeden Rock an zu knabbern der zu nahe am Parkplatz des Reittieres vorbeigeht ? Auch Sie müssen mir wohl zustimmen wenn ich sage, daß letzteres deswegen einen besonderen Reiz hat weil das Eigenleben eines Tieres betont, weil es Farbe ins Spiel bringt.

Auf die Helden übertragen heißt das, daß Perfektion der Heldengruppe noch lange nichts mit Spaß am Spieltisch gemein hat. Ist es nicht viel lustiger, aber auch für eine gute Geschichte viel wertvoller, wenn es neben den vielen Glorreichen Taten des Heldenlebens auch spektakuläre Fälle von Versagen oder einfach nur phexverachtendem Pech gibt ? Nichts ist so langweilig wie der makellose und unverwundbare Held. Auch Siegfried hatte eine Schulter und Achilles eine Ferse.

Ich will damit nicht sagen, daß Sie nun jedem ihrer Helden mit einer stark verwundbaren Stelle ausstatten sollen, trotzdem aber mit (wenigstens) einer Schwäche. Nennen sie diese Schwäche auch ruhig eine Macke, denn mir ist schon klar, daß Sie nur ungern eine Schwäche im Kampf oder anderen wichtigen Eigenschaften offenbaren wollen. Die Macke ihres Helden soll also eher von der Art sein, daß sie zu komischen Situationen im Rollenspiel führen kann. Die eingangs beschriebene Lust am Falschspiel ist dabei bestimmt nicht der spektakulärste Einfall, aber ein gutes Beispiel dafür, wie eine bestimmte Macke die Handlungsweise eines Helden in einer bestimmten Situation beeinflussen kann, damit Gewinn aber auch Schwierigkeiten erzeugen kann. Der Magier Hacky schüttelt den Kopf über seinen Freund angesichts seines Hobbys, billigt es aber insgeheim und leiht ihm sogar Geld für neue Würfel.

Wenn Sie im hinblick auf einen tiefergehenden Charakter und stimmungsvolleres Rollenspiel auch Ihren Helden mit einer Macke ausstatten wollen, dann hier ein paar Vorschläge, die natürlich nicht mehr sein können, als eine grobe Richtlinie, wie auch Sie Ihren Helden leicht bekloppt, aber liebenswert gestalten können.

Ein Wort noch für die Spielleiter : Wenn ein Spieler sich bemüht, seinen Charakter auf die hier beschriebene Art lebendiger zu machen, dann verdient er dafür eine Belohnung. Das heißt, wann immer er auf Grund seines Charakteres eine besondere Aktion einleitet, sind dies ein paar Abenteuerpunkte für gutes Rollenspiel wert. Dies gilt auch (und besonders !) wenn er dadurch mehr Schwierigkeiten ausgelöst hat als gut wären. Solange es noch logisch vertretbar ist, sollten die Helden aus diesen Schwierigkeiten entkommen und die Spieler auf gar keinen Fall dafür bestraft werden, daß sie Ihnen das Leben für den Moment etwas schwerer gemacht haben. Im Grunde sollten Sie für ein wenig Zusatzhandlung dankbar sein.

Oliver Eickenberg

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