Bibliothek  Ich und mein Held

"Nein, da geh ich nicht rein." Das kannten sie schon. "Aber Tosca, das sind doch nur ein paar ganz gewöhnliche Riesenspinnen, kein Problem für uns." "Nein, ich find Spinnen eklig." Auch das hatten sie jetzt oft genug gehört. "Wir auch, aber wenn wir den Schatz wollen, dann müssen wir uns da durch kämpfen!" "Nein, können das nicht ein paar Riesenratten sein?"

Die ganze Unterhaltung könnte noch als halbwegs witzige Anekdote in die Annalen des Rollenspiels eingehen, wenn die letzten Worte nicht als konkrete Frage an den Meister gerichtet gewesen wären und die besagte Gauklerin Tosca eigentlich keine nennenswerte Arachnophobie gehabt hätte, sondern in Wirklichkeit die Spielerin den niedlichen Achtbeinern grundsätzlich nicht zu Nahe kommen will. Es ist ihr nicht gelungen, Meinungen und Ansichten des Helden von der eigenen Person zu trennen.

Auch wenn dies ein extremer Fall von mangelnder Abstraktionsfähigkeit zu sein scheint, so ist doch, häufig bei den ersten Helden eines Spielers, eine signifikante Ähnlichkeit zwischen dem Spieler- und Heldencharakter zu erkennen. Ich muss gestehen, dass ich auch zu der Gruppe derer gehöre, deren frühste Charaktere einerseits viel von einer persönlichen Herangehensweise an Probleme geerbt haben und im Grund so waren, wie man selbst gerne wäre, hätte man die Möglichkeit tatsächlich mit Schwert oder Zauberstab durch Aventurien zu streifen.

Vermutlich ist das Phänomen des Powergaming, der Helden mit 100 LE und 300 AE, Waffen+10 und so eine direkte Folge davon, nicht genug Abstand zu seinem Helden zu haben und fast zwangsläufig irrwitzige persönliche Machtphantasien ausleben zu wollen, besonders bei denen anzutreffen, die eben selbiges Prinzip vor nicht zu weit zurück liegender Zeit noch in Form einer repräsentativen Plastikfigur mit Noppen angewandt haben. Eigentlich meine ich das gar nicht abwertend, denn Rollenspiel hat ja schon noch einiges von "Ritter spielen" aus guten Kindertagen, was vermutlich auch einiges der Faszination des Rollenspiels ausmacht.

Worum es mir aber hier geht, ist die Frage aufzuwerfen, ob es denn eigentlich schlecht ist, seinen eigenen Charakter in den Helden zu transferieren. Wie so oft, ist dies eine Frage, die nicht eindeutig zu beantworten ist, sondern davon abhängt, wie ans Rollenspiel herangegangen wird. Der oben beleuchtete Powergamer ist die extreme Variante des ersteren, der sich Rollenspiel am liebsten als Phantasieversion seiner eigenen Karriere innerhalb der Rollenspielwelt vorstellt. Da dieses Spiel ja alle wesentlichen Elemente eines Rollenspiels beinhaltet möchte ich davor warnen, vor dieser Spielweise die Nase zu rümpfen. Letztendlich ist, solange die je nach Realitätssinn vergleichsweise niedrige Hemmschwelle zum Powergaming nicht überschritten wird, diese Herangehensweise auch von Vorteilen behaftet: Da der eigene Charakter ja in vieler Hinsicht detailgetreu bekannt ist kann man vom Helden auch erwarten, dass er rationale Entscheidungen bringt und so zumindest ein Vernünftiges Spiel möglich wird, was zum Beispiel insbesondere bei fremdartigen Helden, die als völlig losgelöster Charakter gespielt werden, häufiger nicht der Fall ist.

Trotzdem möchte ich die andere Variante als die fortgeschrittenere bezeichnen. Genau wie Leute jenseits der 30 auf einmal gefallen finden an Spaziergängen, für die Sie Ihre Eltern gehasst haben, wenn Sie als Kind damit den Sonntag versaut bekamen, verlieren die Rollenspieler irgendwann die Lust an dem Helden, der sie geworden sind und der sie eigentlich nicht mehr überraschen kann. Gerade, wenn sie eine Heldenkarriere beendet haben (wenn die Stufe so langsam Richtung 20 abdriftet) und neue, einfache Abenteuer mit neuen Helden bestehen wollen, werden Sie ganz schnell die Lust bekommen mit Charakteren zu experimentieren. Auf einmal werden Elfen und Zwerge nicht mehr wegen ihrer Fähigkeiten sondern auf Grund ihrer Eigenheiten gespielt, Sharisad, Schelm und Barde kommen als Helden in Frage. Wenn Sie dieses Stadium in Ihrer Gruppe erreicht haben, können Sie sich als Meister erst mal zurück lehnen: Ihre Spieler sind erwachsen geworden und brauchen keinen Anreiz mehr fürs Rollenspiel, nur noch die Abenteuer werden wichtig. Wertepfusch wird bei diesen Spielern nicht mehr vorkommen.

Diese Erfahrung, die vermutlich viele dienstältere Meister bestätigen können, ist demnach abzusehen und sollte daher nicht bei der ersten Runde gefordert werden. Rollenspiel will auch gelernt sein und eine stundenlange Predigt vor dem Spiel hilft nur selten, hinterher besser zu spielen. Das Einpassen des eigenen Charakters in die Rollenspielwelt passiert schon alleine durch die Grenzen, die Rasse, Kultur und Profession setzen. Schwierigkeiten damit sollten gelöst werden, in dem gerade Anfänger keine (zu) fremdartigen Rassen wählen sollten.

Oliver Eickenberg

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